Chris Kraus über Anna

Ihre Augen waren wie Scheinwerfer, man fühlte sich immer ein bisschen heller, wenn sie einen ansah. Und es war daher immer schön, wenn sie einen ansah mit dieser blitzenden Bläue.

Mit Anna Justice habe ich vor 30 Jahren an der dffb studiert, und so wie ihr Wesen immer etwas Leichtes und Elfisches hatte, so waren auch ihre Filme, die eigentlich in Frankreich hätten entstehen müssen – so truffauthaft flatterten sie über die Leinwand: Ganz besonders ihr Abschlussfilm, der mit einem Lachen des Mädchens endet, um das es geht, ein abrupter Schnitt, zart und melancholisch und beiläufig und plötzlich. Kein Wunder, dass er „Tut mir leid wegen gestern“ hieß. In diesem dahingetupften Titel steckt die kleinstmögliche Hoffnung auf Versöhnung, und gleichzeitig die größtmögliche, eine zärtliche Zuwendung ohne ein einziges Gramm von Pathos. Das passte so sehr zu ihr.

Anna Justice wohnte in meinem Herzen, aus unendlich vielen Gründen, und wieso wir uns trotz unserer Freundschaft nur noch selten sahen in den letzten Jahren hat soviel damit zu tun, dass wir alle immer das scheinbar Selbstverständliche auf demnächst verschieben, bis es dann zu spät ist.

Einmal hat sie mich gerettet. Ich hatte „Vier Minuten“ vor über einem Vierteljahrhundert für sie geschrieben, weil ich sie für eine tolle Regisseurin hielt und selber als Drehbuchautor nach einer Partnerin suchte. Wir kamen in eine absolut nicht arschlochfreie Zone voll mit schrecklichen Redakteurinnen und Produzenten, was mich um ein Haar meine Karriere gekostet hätte. In diesem Konflikt hat Anna zu mir gestanden, wie das kaum jemand tun würde in dieser Branche, wie ich inzwischen weiß. Ich kann das nicht vergessen. Und dass ich später diesen Film selbst drehen konnte, habe ich auch zu großem Teil ihr zu verdanken.

Sie lebte so gerne, wie sie lachte, was schon an der Filmakademie bizarr war, an der Lachen keinen guten Ruf hatte. Sie war ein kluger und großherziger, anständiger und wie mit Flügeln ausgestatteter, nicht immer am Boden haftender, manchmal schwebender, einfach wundervoller und noch dazu hochbegabter Mensch und ihre Jungenhaftigkeit konnte sie in Poesie verwandeln.

Ihr schönster Film heißt „Remembrance“ und handelt von einer Liebe in Auschwitz und, ja, selbst in diesem Armageddon fand sie Staubfädchen von Hoffnung. Sie schaffte es, nie sentimental zu sein. Ein wirklich großer Film, der viele Preise gewann und im Ausland mehr Erfolg hatte als im Land der Täter und der lebensfeindlichen Filmkritik. Letzte Woche wurde er bei Arte ausgestrahlt, in der Nacht, als Anna starb. Man kann ihn sich in der Mediathek ansehen oder besser gesagt: man sollte unbedingt. Dass Anna selbst einen jüdischen Hintergrund hatte, hat sie mir erst vor einem halben Jahr erzählt. Sie starb am letzten Sonntag. Sie wurde 58 helle, aber auch schwere Jahre alt. Gute Reise, liebste und schönste Anna.

22.04.2021